Klassiker | Klassiker der Organisationsforschung (29): David Bohm | Thomas Klug

OrganisationsEntwicklung Nr. 3 |2018

Mit dialogischer Haltung auf  Sinnsuche in Organisationen

Der Quantenphysiker David Bohm hat nicht nur bahnbre chen ­de Forschung in der Physik geleistet, sondern seine Erkennt­nisse regelmäßig auf das gesellschaftliche Leben insgesamt übertragen. Er interessierte sich besonders dafür, wie die Un­tersuchung der individuellen, der sozialen und kosmischen Dimensionen des Lebens zu einer Transformation der Ge­sellschaft führen könnten. Er war weniger an Organisationen  und der Wirtschaft interessiert. Diese Aufgabe verfolgten Men­schen, die mit ihm zusammengearbeitet haben wie u. a. Peter Garrett und William Isaacs (Macy 2018). Da seine Erkennt­nisse bislang wenig berücksichtigte Grundlagen von Organisa­tionsforschung und ­entwicklung darstellen, sollen die wich­tigsten hier vorgestellt werden.

Fragmentierung

Ausgangspunkt für Bohms Überlegungen über den Zustand der Welt war sein Befund der Fragmentierung. Er stellte fest, dass wir die Welt überwiegend in Fragmenten, ohne einen er­kennbaren Zusammenhang, wahrnehmen. Wie ist diese Wahr­nehmung entstanden? Bereits in der Schule lernen wir, die Welt durch bestimmte Fach­Brillen zu betrachten, meist ohne die inneren Zusammenhänge zwischen den Fächern vermit­telt zu bekommen. Wir schauen durch die Brillen der Ge­schichte, Physik, Religion und Kunst etc. Diese «Sozialisierung» – andere sagen Qualifizierung ­ setzen wir in der Berufsausbil­dung bzw. im Studium fort. Wir werden zu Historikern, Phy­sikern, Theologen und Schreinern usw. Mit diesem immer stärker spezialisierten Blick sehen wir uns dann in unseren Organisationen um. Wir betrachten etwa das wirtschaftliche Geschehen durch unsere jeweils mit Bachelor oder Master zertifizierte Brille und haben den Controller­Blick, die Ver­triebs­Brille auf oder spielen die Personaler­Rolle. So kommt es, dass wir das Unternehmen oder den Markt oft nicht mit all seinen Facetten ganzheitlich betrachten, sondern uns in Wahrnehmung und Haltung stark auf die Perspektive unserer beruflichen Qualifikation beschränken. Dabei fällt uns diese eingeschränkte Sichtweise noch nicht einmal mehr auf. Die Fragmentierung ist derart zu einem Teil unserer selbst gewor­den, das wir sie für gegeben und nicht gelernt halten.
Man könnte nun systematisch etwa in Besprechungen von diesen spezialisierten Perspektiven profitieren, indem man sie zusammenträgt und in Beziehung zueinander setzt. Die Reali­tät sieht aber anders aus. Die Produktion etwa wirft dem Ver­trieb vor, er verspreche den Kunden zu viele Sonderwünsche, die man nicht effizient produzieren kann. Der Vertrieb wirft der Produktion vor, den Markt nicht zu kennen und nicht zu wissen, wie man den Wettbewerb schlagen kann. Anstatt sich gegenseitig die jeweiligen Perspektiven durch ein Gespräch näher zu bringen, einen gemeinsamen Kundenbesuch oder die gemeinsame Kostenbetrachtung von Sonderwünschen in einer spezialisierten Fertigung vorzunehmen, macht man sich die eingeschränkte Sichtweise zum Vorwurf. Und dabei ist den Beteiligten meist nicht bewusst, was diese verschiedenen Ur­teile hervorruft.
Bohm verfolgte das Ziel, die Ursachen für die Fragmentie­rung im individuellen und kollektiven Denken zu erforschen. Seine wesentlichen Erkenntnisse werden hier vorgestellt.
Zunächst beschreibt er Fragmente als diejenigen Elemente eines Systems, die keinen Bezug zum Ganzen mehr haben  im Gegensatz zu Teilen, die per Definition Teil eines Ganzen sind, z. B. Einzelteile einer Uhr. Am Beispiel einer Uhr, die man zerschmettert und die in beliebige Elemente zerfällt, verdeut­licht Bohm, was er mit Fragmentierung meint. Zuvor standen die einzelnen Teile in einer Beziehung zueinander und bil­deten gemeinsam eine funktionierende Uhr. Nach dem Zer­schmettern ist diese Beziehung zerstört und die Einzelele­mente haben durch die fehlende Beziehung zur Uhr keine Funktion mehr, sind nicht mehr Teil eines Ganzen sondern Fragmente (Bohm 1996, S. viii). Diese Zerstückelung der Welt als Ganzes in Wahrnehmung und Gedanken, ohne den inne­ren Zu sammenhang der Elemente zu erkennen, versucht er uns vor Augen zu führen, wenn er über das Problem der Frag­mentierung spricht.
Darüber hinaus ist aus der Physik bekannt, dass es eine Wechselbeziehung zwischen Beobachter (Subjekt) und Beob­achtetem (Objekt) gibt. Beispielsweise hängt die Beantwor­tung der Frage, ob Licht aus Wellen oder Teilchen besteht, da­von ab, wonach man sucht. Insofern nimmt der Beobachter Einfluss darauf, was er beobachten kann. Bohm spricht daher von einer «Einheit des Denkvorgangs und der Realität» und betrachtet die Realität nicht als statisch gegeben, sondern als einen dynamischen, sich stets ändernden Prozess (Bohm 1996, S. 69ff). Auch hier ist die Erkenntnis, uns der inneren Bezie­hung zwischen Beobachter und Beobachtetem stets bewusst zu sein.

Denken und Wahrnehmung

Schließlich betrachtet Bohm noch das Denken selbst als die Verarbeitung der Wahrnehmung etwas differenzierter. Er un­terscheidet «Denken» (thinking), als einen laufenden Prozess der Wahrnehmung und Verarbeitung von Realität und «Ge­dachtes bzw. Gedanken» (thought) als das Ergebnis von frü­herem Denken und kollektiven Erinnerungen und Annahmen (Bohm 1980).

Das Denken bedient sich der Sprache als Medium. Verschie­dene Sprachen bringen ihrerseits unterschiedliches Denken hervor. Mit der Sprache beschreiben wir unsere Wahrneh­mung und stellen sie dem Denken zur Verfügung. Bei seinen Untersuchungen zur Sprache hat Bohm betont, dass die Welt nicht eine zu einem gegebenen Zeitpunkt fixe Gestalt hat, son­dern ständig im Fluss ist. Beim Sprechen über die Welt nutzen wir aber Nomen, die den Eindruck von etwas «Geronnenem» vermitteln, etwas, das wir als ein von uns unabhängiges, un­veränderliches Objekt bezeichnen können. Diese Sichtweise kann laut Bohm nicht länger als gültig betrachtet werden. Wir müssen uns Situationen vielmehr als Ereignisse vorstellen, die eher mit Verben beschrieben werden müssten. Wenn wir etwa unsere Hand betrachten, handelt es sich hierbei nicht um ein unveränderliches Objekt, sondern präziser um eine Abfolge von Zellteilungen, die miteinander in Beziehung stehen und einer gegebenen Ordnung gehorchen, die wir schließlich als Hand bezeichnen (Garrett).

«Fragmentierung meint die Zerstückelung der Welt als Ganzes in Wahrnehmung und Gedanken, ohne den inneren Zusammenhang der Elemente zu erkennen.»

Bohm empfiehlt, unsere Wahrnehmung weg vom statischen Objekt hin zum dynamischen Prozess zu verschieben. Darauf zielte auch sein Vorschlag für das Sprachexperiment Rheo­modus ab, rheo (gr.) = fließen. Dem hat er in seinem Buch «Wholeness and the Implicate Order» ein ganzes Kapitel ge­widmet (Bohm 1980, S. 84ff). Allerdings haben sich seine Ide­en nicht durchgesetzt.

Bewusstsein als subjektive Beziehung zur Welt

Wir haben bereits erörtert, dass die Sprache das Medium des Denkens ist und Denken das Bewusstsein prägt. Darüber hin­aus haben Bohm und Max Weber festgestellt: «Unser Denken und Bewusstsein bestimmt unser Sein.» Wissenschaftlich un­terscheiden wir verschiedene Arten von Bewusstsein. Bohm ver  steht zusammen mit Krishnamurti unter Bewusstsein un­sere subjektive, interne Beziehung zur Welt als Ganzes. Es be­steht aus inneren Bildern wie etwa Erfahrungen, Erinnerungen, Überlieferungen, (begrenztem) Wissen, Sehnsüchten, Glau­bens sätzen, Ritualen, Gefühlen etc. (Krishnamurti 1983).

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